Wissenschaft als ökonomischer Standortfaktor
Fünf Thesen zum Wissenschaftsstandort Essen

Wettbewerb der Regionen fordert leistungsfähige Innovationsökosysteme
In der digitalisierten und globalisierten Wirtschaft der Zukunft stehen die Regionen in einem starken Wettbewerb miteinander – um kreative und mobile Leistungsträger und um international operierende Unternehmen. Regionen, die es schaffen wollen, den Wohlstand ihrer Bevölkerung aus eigener Kraft zu sichern, statt von einer dauerhaften Alimentierung durch Transfers abhängig zu sein, müssen sich als wichtige Orte der Wertschöpfung etablieren. Dazu müssen sie im Wettbewerb mit denjenigen Eigenschaften punkten, die sie im internationalen Vergleich hervorheben.
Für eine Region im Herzen von NRW kann dieser Vorteil nicht in niedrigen Produktionskosten liegen. Das ließen unsere anspruchsvollen Umweltstandards und das gewachsene Lohnniveau auch gar nicht zu. Stattdessen muss sie danach streben, die immer mehr von wissensgetriebenem technischen und organisatorischen Fortschritt geprägte globale Wirtschaft mitzugestalten. Innovative Unternehmen und leistungsfähige Institutionen der Bildung, der Forschung und des Wissenstransfers müssen dabei gemeinsam ein funktionsfähiges regionales „Innovationsökosystem“ bilden.
Wissenschaftsstandort Ruhrgebiet zeigt gute Ansätze
Kaum ein anderer Bereich menschlichen Zusammenwirkens ist derart global wie die Wissenschaft. Die Publizität der Argumente und Ergebnisse, anerkannte Standards des wissenschaftlichen Arbeitens und die gemeinsame Wissenschaftssprache Englisch haben dazu geführt, dass neu erarbeitete Wissensvorsprünge immer nur eine begrenzte Lebensdauer aufweisen. Im Wettbewerb der Regionen sind die Akteure des regionalen Innovationsökosystems daher nur dann wirklich exzellent, wenn ihre Arbeit national wie international sichtbar und anerkannt ist.
Das Ruhrgebiet weist zum gegenwärtigen Zeitpunkt zwar durchaus exzellente Forschungseinrichtungen auf, die sich im harten Wettbewerb nationale und internationale Anerkennung erarbeitet haben. In der Exzellenzinitiative haben zudem die Universitäten der Region durchaus beachtliche Erfolge erzielt. Doch damit die Idee der Wissenschaftsregion für das Ruhrgebiet international als profilbildend wahrgenommen wird, muss der Wissenschaftsstandort in Breite und Spitze gleichermaßen konsequent weiter ausgebaut werden.
Wissenschaft muss sich auf Spitzenleistungen konzentrieren
Das Beste, was Akteure des regionalen Innovationsökosystems für den wirtschaftlichen Wohlstand der Region leisten können, ist, ihre ureigene Arbeit exzellent zu verrichten. Nur so wird es der Region gelingen, stetig mehr Leistungsträger anzuziehen und im Idealfall ein regionaler Magnet für Spitzenleistung zu werden. Angesichts der ausgeprägten internationalen Arbeitsteilung in Wissenschaft und Wirtschaft ist es dabei keineswegs vordringlich, ob sich die von den Akteuren der Region bearbeiteten Forschungsfragen und Entwicklungsprojekte mit den Problemen vor Ort beschäftigen oder Lösungen für Probleme an anderen Orten der Welt bereitstellen. Wichtig ist stattdessen die Spitzenleistung, die dazu beiträgt, die Region zu einem Ort zu machen, dem international eine besondere Aufmerksamkeit zuteil wird.
Wissenschaftliche Erkenntnis kann allerdings auch über den direkten Austausch mit der Gesellschaft zu Problemlösungen vor Ort beitragen. Die kommunikative Rückkopplung mit der Gesellschaft kann die Wissenschaft sogar zu einer besseren Leistung beflügeln. Aber gute Wissenschaft muss sich angesichts der internationalen Arbeitsteilung vor einer provinziellen Verengung ihres Tuns hüten.
Politik muss Freiräume für Spitzenleistung schaffen
Die Prioritäten in der Landespolitik spielen für die Erfolgsaussichten der Region, sich als international anerkannte Wissenschaftsregion zu etablieren, eine entscheidende Rolle. Denn die Finanzierung von mehr Spitzenleistungen der Wissenschaft und höhere Anstrengungen in der breit gefächerten Bildung wären gleichermaßen ohne weitere Belastung der künftigen Generationen möglich. Dazu müsste man allerdings den politischen Mut aufbringen, an anderer Stelle der öffentlichen Budgets Abstriche zu machen, und beispielsweise mit einem Bekenntnis zu allgemeinen Studiengebühren die bisherige Umverteilung von unten nach oben zu beenden.
Damit sich Spitzenleistungen entwickeln können, reicht eine gute finanzielle Ausstattung der Forschungseinrichtungen aber nicht aus. Wissenschaftliche Arbeit braucht die Freiheit zur Themenwahl und zur Erkenntnissuche. Ein „Masterplan“, bei dem Forschungsfelder oder gar Forschungsfragen durch die Ministerialbürokratie identifiziert werden, ist hingegen nicht sinnvoll. Ebenso wie es nicht sinnvoll sein kann, kleinteilige Standortpolitik für einzelne Städte des Ruhrgebiets zu betreiben, muss der Wissenschaftsstandort Essen von vornherein als Element eines übergreifenden Konzepts für den Wissenschaftsstandort Ruhrgebiet gedacht sein.
Das Ruhrgebiet muss sich zur Spitzenleistung bekennen
Letztlich muss sich die Gesellschaft der Region entscheiden, ob sie tatsächlich bereit ist, die Idee eines Wissenschaftsstandorts Ruhrgebiet zu umarmen. Nur sie wird die kommunale Politik und die Landespolitik dahin drängen können, die naturgemäß endlichen öffentlichen Mittel für dessen Ausbau statt für andere Ausgaben zu verwenden. Allerdings ist auch unter der neuen Landesregierung ein solcher gesellschaftlicher Wandel bislang nicht erkennbar. So ist beispielsweise das politische Bemühen darum, beim Verwaltungshandeln regionale Effizienzpotenziale zu heben, weiterhin bescheiden ausgeprägt. Eine offene Debatte über die Konkurrenz der Ausgabenposten um endliche Mittel wird im Ruhrgebiet nach wie vor nicht geführt.
Unverzichtbar für ein funktionierendes regionales Innovationsökosystem sind zudem neu gegründete Unternehmen, die im Kontext der Forschung entstehen. Unternehmergeist kann sich am Standort aber nur entfalten, wenn Spitzenleistungen und unternehmerische Erfolge gesellschaftliche Wertschätzung erfahren. Erst wenn das der Fall ist, kann die Region ein ähnlich attraktiver deutscher Wissenschaftsstandort werden wie die Regionen rund um München und Berlin.
Prof. Dr. Christoph M. Schmidt
RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung